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"Welt aus Schrift" typography exhibition in Berlin
received from Pressestelle Staatliche Museen zu Berlin
Invitation card Privat Livemont, Rajah, 1900, Scan: Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin Ludwig Suetterlin, Der Tag, 1901, Scan: Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin Jean Carlu, 4 Routes to the continents, 1930, Scan: Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn 2010 Niklaus Troxler, A Tribute to the Music of Thelonious Monk , 1986, Scan: Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn 2010 Guenter Karl Bose, Musica viva, 2008, Scan: Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin © Guenter Karl Bose |
Kulturforum Potsdamer Platz, Kunstbibliothek
Sonderausstellungshallen, Matthaeikirchplatz, 10785 Berlin-Tiergarten Welt aus Schrift
Eine Ausstellung der Kunstbibliothek – Staatliche Museen zu Berlin, Kulturforum Potsdamer Platz, vom 22. September 2010 bis 16. Januar 2011 Ausstellungsraum: Kunstbibliothek in Zusammenarbeit mit der Hochschule fuer Grafik und Buchkunst Leipzig, Klasse Prof. Guenter Karl Bose. Eroeffnung: Dienstag, den 21. September 2010, um 19 Uhr.
"Eines der sprechendsten Ausdrucksmittel jeder Stil-Epoche ist die Schrift. Sie gibt naechst der Architektur wohl das am meisten charakteristische Bild einer Zeit und das strengste Zeugnis fuer die geistige Entwicklungs-Stufe eines Volkes. Wie sich in der Architektur ein voller Schein des ganzen Wogens einer Zeit und aeusseren Lebens eines Volkes widerspiegelt, so deutet die Schrift Zeichen inneren Wollens. Sie verraet von Stolz und Demut, von Zuversicht und Zweifel der Geschlechter." Peter Behrens begleitete mit diesen aus heutiger Sicht etwas pathetisch scheinenden Worten die Publikation seiner 1901 erschienenen Schrift, die neben der von Otto Eckmann wesentlich zur Erneuerung der Schriftkultur in Deutschland beitrug. Diese Erneuerung war Ergebnis von Debatten um den aesthetischen Verfall zeitgenoessischer Druckerzeugnisse und hatte Fragen nach nationaler Identitaet und Weltoeffnung, nach Zweckbestimmung und Lesbarkeit neu entfacht. Inzwischen wissen wir, dass Schrift sehr wohl auch etwas ueber das aeussere Leben eines Volkes mitteilt und dass zwischen Stolz und Demut die Zweifel und Gewissheiten auch von Liebe, Vorschriften, Aufruhr, Hass und Provokation, Spiel und Witz getragen sein koennen. Nie zuvor sind so viele neue Schriften entwickelt worden, wie seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Der heutige Schriftenvorrat uebersteigt inzwischen die Zahl 100 000. Rechtfertigung suchte diese Entwicklung in den unterschiedlichsten Aufgaben von Schrift: der sachlichen Informationsvermittlung, der Interpretation von Text wie der Identitaet stiftenden Funktion fuer ideologische, politische, kommerzielle wie kuenstlerische Zwecke. Neben einer stetig gewachsenen Wissensvermittlung durch Text begann bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert ein beispielloses Ringen um Aufmerksamkeit fuer Informationen, fuer Ideen und Produkte, fuer Hinweise und Gebote. Die Allgegenwart von Schrift hatte das Bild der Staedte nachhaltig veraendert. Zu einer das oeffentliche, mobiler gewordene Leben organisierenden Beschilderung war massiv die Werbung getreten. Was die Inseratseiten der Zeitungen fuellte, hatte nun auch die Fassaden der Haeuser erobert. Lesen wurde die Hauptorientierungshilfe der industriellen Gesellschaft. Zugleich drohte Schrift zunehmend der Suggestion omnipraesenter Bilder zu unterliegen, weshalb sie stets neuer Formen und Anwendungen bedurfte, um wahr genommen zu werden. Nicht nur vor diesem Hintergrund haben sich Schriften im letzten Jahrhundert stark veraendert. Die technische Entwicklung vom Bleisatz-Buchdruck ueber die Lithographie, den Fotosatz und den Offsetdruck bis zum digitalen Entwurf und Druck hatte weitreichende Konsequenzen, die nicht nur zur Verdraengung ganzer Berufe fuehrten, sondern immer auch mit gestalterischen Konsequenzen verbunden waren. Feierte man noch 1900 das 500. Jubilaeum Gutenbergs, dem zu Ehren prominente Schriftgiessereien neue Bleisatzschriften auf den Markt brachten, sind wir nun am Ende der Gutenbergaera angelangt. Blei- und Holzlettern sind in die Schutzraeume kuenstlerischer Ateliers und Minipressen gewandert. Bei allen Wandlungen der technischen Vorausetzungen hat sich hingegen die Frage nach dem gestalterischen Potenzial von Schrift – ob von frei gezeichneter oder verwendten Fonts nicht ueberholt. "Typography is a beautiful group of letters, not a group of beautiful letters." Diese von Alan Fletcher zitierten Worte sind gewissermassen Leitfaden unserer Ausstellung. Sie lenkt den Blick auf ein Kapitel Gestaltungsgeschichte, das kuenstlerische Entwicklungen zwischen 1890 und 2010 auf besondere Weise widerspiegelt. Im Mittelpunkt steht das Zeichensystem der in Europa und den USA verwendeten Alphabetschriften, seine Verwandlungen, Sezierungen und Neuschoepfungen in der angewandten Grafik. Sie hat Texten eine Form gegeben, die nicht nur Sprache sichtbar macht, sondern darueber hinaus Bilder und Vorstellungen evoziert. So kann man heute von einer eigenen Ikonographie und Entwicklungsgeschichte der Schrift–Bilder sprechen. Wesentliche Aspekte davon will die Ausstellung an Buechern, Zeitschriften, Akzidenzdrucken, Plakaten, Schriftmustern und Fotografien zeigen, die zugleich die Vielseitigkeit der Gebrauchsgrafik im 20. Jahrhundert deutlich machen. Mit mehr als 500 Objekten gewaehrt die Ausstellung "Welt aus Schrift" ueberdies erstmalig einen umfangreichen Einblick in die heutige Sammlung Grafikdesign, bei deren Aufbau dem Thema Schriftgestaltung eine besondere Aufmerksamkeit zuteil wurde. In der 1867 gegruendeten Bibliothek des Deutschen Gewerbe-Museums, der heutigen Kunstbibliothek, fanden in Ergaenzung zur Ornamentstichsammlung Blaetter der Buchmalerei und Schreibkunst, Beispiele der Druckkunst seit dem spaeten 15. Jahrhundert ebenso Aufnahme wie die von den Schriftgiessereien herausgegebenen Proben und die jeweils moderne Gebrauchsgrafik, in der sie zur Anwendung gelangten. In der Chronologie von insgesamt 6 Doppeljahrzehnten zeigt "Welt aus Schrift" schlaglichtartig nachhaltige Entwicklungen und Zaesuren in den letzten 120 Jahren, sowie parallele z. T. kontroverse Erscheinungsformen und macht die belebenden Wechselwirkungen von freier und angewandter Kunst sichtbar. Beginnend mit Beispielen der englischen und amerikanischen Buchkunstbewegung um William Morris und Will Bradley, mit Plakaten und Drucksachen von Henry van de Velde, Theo van Rysselberghe Privat Livemont und Pierre Bonnard als Vertreter des belgischen und franzoesischen Art Nouveau, fruehen Drucksachen der Wiener Sezession von Alfred Roller und Koloman Moser oder Beispielen der deutschen Jugendstil- und Werkbund- bewegung (Otto Eckmann, Peter Behrens, Fritz Helmuth Ehmcke, Lucian Bernhard) zeigt die Ausstellung in einem zweiten Kapitel unterschiedliche Wege des Schriftplakates von streng sachlicher und konstruktiver bis zur bildhaften Verwendung von Schrift. Glanzstueck der Ausstellung ist das von Boris Bilinsky entworfene Plakat fuer die franzoesische Auffuehrung des Films "Metropolis" von 1927. Darueber hinaus sind Buch-, Zeitschriften und Akzidenzdrucke von den Dadaisten und italienischen Futuristen zu sehen, Beispiele angewandter elementarer Typografie von Tschichold, Dexel, Moholy Nagy, Bayer und El Lissitzky wie der hollaendischen Avantgarde. Cassandre, Carlu oder die Schweizer Baumberger und Keller sowie Edward McKnight Kauffer bestimmen das Bild der 1930er und 40er Jahre ebenso wie die nationalsozialistische Propaganda oder Grafiker, die fuer "Vogue" und "Harpers Bazaar" gearbeitet haben und wegweisend wurden fuer das Zeitschriftendesign der Nachkriegszeit. Am 8. Oktober 1932 erschien zum ersten Mal die Londoner Times in der nach ihr benannten, von Stanley Morison entwickelten Type. Sie wurde eine der erfolgreichsten Schriften. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg gewann die Vorkriegsmoderne wieder an Einfluss, die besonders in der Schweiz und den USA fortleben konnte und neue kreative Impulse erfuhr. Armin Hofmann, Emil Ruder oder Karl Gerstner stehen fuer den sog. swiss style, der nicht zuletzt durch die serifenlosen Groteskschriften Helvetica (von Max Miedinger) und Univers (von Adrian Frutiger) eine internationale Ausstrahlung bekam. Die 1950er und 60er Jahre praegen auch die Niederlaender Willem Sandberg und Pieter Brattinga oder die Italiener Vignelli und Cresci. Visuelle und Konkrete Poesie beeinflusste die Grafik der 1960er Jahre (Wolfgang Schmidt und Christian Chruxin), ebenso die Typografie von Herb Lubalin und Willy Fleckhaus. Neben konstruktiver Grafik behaupteten sich immer auch spielerische, hintersinnige Bildhaftigkeit und Dekonstruktion, die auf ungewoehnliche Lesarten setzten und sich gegen die Praesenz fotografischer Bilder behaupteten. Daneben gewann die Pop-Kultur Einfluss auf die Grafik. Schliesslich revolutionierte seit den spaeten 1970er Jahren die Musikkultur von Punk und Techno die Schriftbilder, was in Zeitschriften Ray Gun, Emigre, Face, Rolling Stone, Frontpage oder Plattencover der Sex Pistols deutlich wird. Schliesslich zeigt sich in den juengsten Beispielen eine neue Offenheit gegenueber historischen Leistungen der Typografie, eine staerkere Formenklarheit bei gleichzeitiger Betonung des Subjektiven. Ergaenzend werden Filme gezeigt und Projektionen, die den Blick auf Schriften im Stadtraum lenken, das Feld der bewegten Schriften beruehren und schliesslich einzelne Typografen vorstellen. Text: Dr. Anita Kuehnel
Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher und reich bebilderter
Sammlungskatalog im Verlag Walther Koenig zum Preis von 29,80 €.
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