Rene Wanner's Poster Page

News: An art? exhibition in Mannheim (D) with poster designer Goetz Gramlich
received from Goetz Gramlich

Lukas Breitkreutz, Goetz Gramlich und Max Hathaway laden zum

METAAETHER RED.

SA 14.04.12 (Vernissage) + SA 21.04.12 (Finissage)
Abruch und Demontage / Luisenring 16 / Mannheim, Germany
Der AETHER oeffnet ab 20 Uhr.

Im Internet werden wir zu Spannern, zu Zaungaesten der Fremden und ihrem fremden Treiben.
Im Sitzen vor der heimischen Kiste bleibt alles gemuetlich fern – wie aus der Vogelperspektive sehen wir hinab in den Daten-Aether, aus der fernen Sicherheit unserer Home-Cockpits.

Doch was passiert wenn wir die Geister aus dem Aether reissen und greifbarer, naeher, intimer zu uns bringen? Nun hinterlaesst jeder "Click" einen fettigen Abdruck auf dem fremden Material. Ein unheimliches Loch in der Hygiene-Barriere des World Wide Web zwingt zur Auseinandersetzung mit Fragen von Trieb, Identitaet, Intimitaet und Wahrheit in unserer Zeit.

Was sehen wir uns an?
Was koennen wir alles finden?
Wer sind die fremden Menschen?
Wollen wir es ueberhaupt wissen?
Was suchen wir?

META AETHER Vorwort: Christian Bauer / Koeln 2012
Die Geburt der Selbst-Verletzung aus dem Geiste der Internetidentitaet

Philosophie, Psychologie und Soziologie verhandeln Konzepte der Ich-Identitaet. Wenn Identitaet die Bestaendigkeit einer Person ueber die Zeit hinweg bezeichnet, so sind die aus dem Netz gefischten Digitalaufnahmen als Statusberichte von Personen zu betrachten, die ihre lebensgeschichtlichen Markierungen einer breiten Oeffentlichkeit zu gaenglich machen. Ob intendiert oder nicht, werden diese Ich-Behauptungen in den ewigen Speicher des World Wide Webs als ein schutzlos ausgesetztes personenbezogenes Sinnesdatum eingehen. Die betreffende Person vergeht, das Bild ihrer selbst hingegen geht in die falsche Unendlichkeit des Netzes ein. Einst werden alle lebensgeschichtlichen Merkmale, die der Identitaet der Person zukamen, laengst verloschen, alle Zeugen, die um das biographische Narrativ der Person wussten, verblichen sein. Aber im Netz aufbewahrt ist der zweite, digitale Koerper, – zu Lebzeiten eine Mumie, die den Furien des Verschwindens entgehen wird; solange das digitale System mit Strom versorgt bleibt. Die entscheidende Frage fuer eine nicht rein aesthetische, sondern ethische Bewertung dieser Inszenierungen duerfte sein: Geschieht dieses Zur-Schau-Stellen aus freiem Willensentschluss? Oder steht nicht hinter diesen Akten eine lebensgeschichtliche Tragoedie, eine Art von verzweifelter Existenzbehauptung, die mehr von materiellen Zwecken und daseinsmaessigen Noeten bestimmt ist denn von freier Wahl? Es ist davon auszugehen, dass sich eine selbstmaechtige Person nicht wohlueberlegt preisgibt, wenn sie der Neigung nach kommt, sich im Raum der Intimitaet der eigenen Person zu entkleiden. Sie wuerde sich nicht einer Digital-Kultur der Verbilligung und Prostitution unterwerfen, wenn nicht bereits eine ganz konkrete soziale Not die bewusstseinsmaessigen Fundamente der Person untergraben hat. Sicherlich kommen nicht ausschliesslich oekonomische Gesichtspunkte ins Spiel. Vielmehr ist auch an eine Oekonomie der Triebe zu denken, die mit einer Bewirtschaftung der Wahrnehmung durch an dere einhergeht. Da "Sein wahrgenommen werden" heisst (esse est percipi, George Berkeley), ist der Austausch mit einem potentiellen Wahrnehmenden das Gebot der Stunde fuer jedermann, der nicht aus sich heraus jene Kraefte mobilisieren kann, die ihm relative Ich-Autonomie bescheren. Die entsprechenden Internet-Plattformen und Foren stellen ein Angebot dar, uebertrieben anschauliche Selbstkonzepte von digitaler Plastizitaet vorzustellen, die in der Wahrnehmung des anderen konstituiert und durch eine Vielzahl von "Klicks" bestaetigt werden. Nicht zu verkennen ist, dass das "nackte Leben" (Giorgio Agamben) in unserer Kultur jene aeusserste, ja unterste Stufe des Seins darstellt, die wir als Obszoenitaet kennzeichnen. Jeglicher Unschuld und Wuerde beraubt, steht das Ich seinem Betrachter wie ein Delinquent gegenueber: Das sprichwoertliche "Shooting" – sofern es kein delikater Kunstgriff ist – rein um der pornographischen Darstellung willen, ist so alt wie die Photographie. Ehemals duerftig verhuellt durch das wissenschaftliche Studieninteresse an Bewegungsablaeufen, entsteht seit Mitte des 19. Jahrhunderts sukzessive eine bluehende Industrie, die mit den entstellten Beduerfnissen moderner Individuen rechnen kann. Abhaengig von den Wahrnehmungsroutinen der Betrachter duerf te sein, ob es sich bei den anzueglichen Darstellungen aus dem Netz um etwas anderes handelt denn um Darstellungen aus dem kulturellen Morast eines ekstatisch-erschoepften Individuums auf der rastlosen Suche nach Anerkennung seiner Existenz. Nacktheit ist die ultima ratio eines bewusstlosen Gattungswesens. Im Massenmedium seiner Besonderheit fast vollends beraubt, verbleiben als letzte flackernde Evidenzen die Signalements aus dem Interieur. Ob Nivea-Dose im Badezimmer, Billy-Regal in der Wohn- stube oder Leonardo-Vasen in der Vitrine: Das Habitat dient dem kriminalistisch Interessierten zu einer quasi-archaeologischen Spurensicherung der sozialen Daseinsbedingungen. Die Arché im Sinne des Ursprungs dieses Interesses geht auf die Abwendung vom Ekelreiz. Die Dominanz des limbischen Regulatives, das fuer ungehemmte Lust zufuhr im Stammhirn sorgt, wird durch die staerker kognitive Leistung der Bildlektuere gekontert. Dem sogenannten "Dominanzwechsel" (Bazon Brock) im Gehirn entspricht die Moeglichkeit von reflexiven und empathischen Regungen des Bildbetrachters. Die desperaten Interieurs sind die Reversbilder der "innerweltlichen Askese" (Max Weber), wie sie die moderne Arbeitsteilung in der kapitalistischen Wirtschafts- und Verwertungsform fordert. Keineswegs spurlos geht an den Menschen vorbei, dass sie als Berufsmenschen alltaeglich Masken aufzusetzen und – bei Gelegenheit – die Beinkleider der Wuerde abzustreifen haben. Wieso dann nicht auch des Abends grimassieren vor dem Ankleide-Schrank? Und wieso nicht auch einmal – im Gegensatz zu den kleinlichen Routinen des Arbeitslebens – generoes sein und jemanden auf seine Kosten kommen lassen? Dieser Jemand soll das eigene Selbst sein, das unter dem all- gegenwaertigen Druck zur Flexibilisierung und Rationalisierung im Berufsleben die aeusserste Konsequenz zieht. Der dort ausgeuebte Zwang zur Nachahmung des Verhaltens anderer fuehrt kraft dieser Mimesis zu einer Missinterpretation des "Realitaetsprinzips" (Sigmund Freud). Gefuehlsarbeit wird zur Fehlleistung, wenn freizuegige Depersonalisierung in der Freizeit unfreiwillig um sich greift. Das Portrait, ehedem zu Beginn der Aufklaerungsepoche Insignium eines selbstbewusst aus gestellten Individualismus, kehrt die Lanze wider sich selbst: "Hier stehe ich und kann nicht anders!" ist das Schlagwort einer ungeheuren Selbstverletzung und eines Steuerungsverlustes, der sich beim Betrachter als Verletzung von Tabugrenzen und von religioesen Gefuehlen spuerbar niederschlaegt; tat tvam asi. Es ist damit zu rechnen, dass die Ausstellung MetaAEther einen feministisch motivierten Diskurs ausloest, der darauf abzielt, die Rechte der Frau zu staerken. Dieser Diskurs waere von dem begruendeten Interesse geleitet, die Fuegungen der Ausstellung als aggressive Formen von "Maennerphantasien" (Klaus Theweleit) zu qualifizieren und deren paedagogischen Wert zu bestreiten. Im Sinne eines geschlechteruebergreifenden Konsenses waere daher zu ueberlegen, ob es sich bei dem Ausstellungs-Setting nicht auch um ein Rezeptionsschulungsprogramm handelt mit dem Ziel, den pseudo-dionysischen Attraktionen nicht zu erliegen und ihnen im Geiste apollinischer Versagung und Nicht-Erfuellung obsessiver Triebwuensche stand zu halten. Eine Haltung bewahrende Reflektion haette die Unterscheidung zwischen den im Netz gespeicherten Bildgeschichten und den autonomen Akten im Sinne der Kunst zu treffen und nach den spezifischen Differenzmerkmalen zu fragen. Ein moeglicher Schluss waere: Es handelt sich um lebensgeschichtliche Momentaufnahmen, die "nur aus der Sicht der anderen erzaehlt werden" und daher "das Selbst zum lei denden Opfer ohne Kontrolle ueber seine Existenz [herabwuerdigen]; naehrt sich die Geschichte eines Lebens ausschliesslich vom Stand punkt des Individuums, dann ist ein solches Selbst ein Narziss, ein Einzelgaenger, der zwar vollstaendig Autonomie erlangt haben mag, aber auf Kosten jeglicher Solidaritaet". Ein solcher Diskurs wuerde den Bildern kaum mehr als die meist ueberbelichteten Nachtstuecke eines sich ohnmaechtig selbstvergottenden Narzissmus entlehnen. Die Digitalaufnahmen bildeten das regressive Spiegelstadium der depersonalisierten Person. Die melancholischen Expansionsanstrengungen eines entstellten Selbstbezugs im Netz vernichten noch den letzten Sinn eines gelingenden Lebens. Joseph Beuys’ Appell – "Zeige Deine Wunde!" wird im Web zur Kippfigur einer autistisch-narzisstischen Plastik. Dem Betrachter der Ausstellung wird es schwer fallen, seine Gefuehle der Solidaritaet zu bekunden, denn da ist niemand, der einer Ansprache faehig waere.




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