Rene Wanner's Poster Page

News: Pictures from the Grapus exhibition in the Gallery Rambow in Guestrow, Germany
received from Gunter Rambow

Die schöne Grapus-Ausstellung in Guestrow bei Gunter Rambow geht in die Verlängerung (bis Ende Juli 2015). Vielleicht schafft es ja jemand von Euch in die schöne Mecklenburgische Seenplatten Provinz. Gunter würde sich auch über Besuch freuen. ;-)


Gunter Rambow's residence in the city center of historic Guestrow


Entrance of the Galerie Rambow


The Schalmeien-Kapelle playing at the opening reception




Gunter Rambow himself puts the finishing touch to the apero














Alex Jordan, one of the founding members of Grapus


Angelika Eschbach-Rambow, reading Rene Grohnert's speech (he could unfortunately not make it to the opening)


Gunter Rambow


Visitors


Angelika Eschbach-Rambow


The garden party in the backyard of The Rambow Gallery






Alex Jordan commenting on the Grapus posters in the exhibition


Gunter Rambow and a visitor



Einige Worte zu Grapus

Text of the opening speech from Rene Grohnert, director of Deutsches Plakat Museum at Museum Folkwang Essen.

Was da gerade zu hören war, das war die Martinstrompete oder auch Schalmei. Diese ist nur bedingt verwandt mit dem seit dem Mittelalter in Europa verbreiteten und aus Asien stammenden Holzblasinstrument gleichen Namens.

Beiden aber ist ein ähnlicher Klang eigen, er ist sehr laut, scharf und z.T. nasal. Diese Eigenschaft machte es zum favorisierten Signalinstrument der Arbeiterbewegung in den 1920er Jahren, mit Traditionsfolgen, vor allem bei den deutschen Linken und in der DDR. Heute eher selten zu hören – also geniessen Sie die Töne.

Schalmeienkapellen zogen mit geballter Lautstärke auch jeweils am 1. Mai durch die Strassen. Der 1. Mai ist als Kampftag der Arbeiterbewegung in die Geschichte eingegangen. Zunächst ging es um den 8-Stundentag, später auch allgemein um die Beseitigung vor allem sozialer Missstände.

Damit haben wir eine, von Gunter Rambow durchaus bewusst organisierte Überleitung zu den Arbeiten von Grapus, nicht umsonst wird heute am 1. Mai – mit Schallmeienkapelle – die Ausstellung eröffnet. Denn laut und scharf sind auch ihre Arbeiten, und auch sie prangern Missstände in der Gesellschaft an.

Einige Worte zu Grapus als Künstlerkollektiv
1970 gründeten Pierre Bernard, Gérard Paris-Clavel und François Miehe das Grafik- Design-Kollektiv Grapus. Die Drei lernten sich im Mai 1968 im Atelier Populaire der École des Arts Décoratifs in Paris kennen, wo bereits Bernard und Miehe studierten, Paris-Clavel stiess aus der École des Arts et Métiers dazu. Das Atelier Populaire lieferte damals, im Mai 1968, die Bilder zu den Studentenunruhen. Des Nachts in der Schule gedruckt und mit dutzenden Helfern über ganz Paris verteilt brachten sie eine neue visuelle Bildsprache in die Öffentlichkeit. Die scheinbar schnell hingeworfenen Zeichnungen reagierten rasch auf politische Veränderungen, nahmen Themen schnell auf und vertraten eigene Positionen. Diese – zumeist provokanten – Motive wurden leidenschaftlich diskutiert und trugen die politischen Forderungen jener Tage intensiv, respekt- und schonungslos vor.

Diese Positionen waren letztlich die der französischen Kommunisten. Die späteren Gründer von Grapus waren junge und leidenschaftliche KPF-Mitglieder, die an die Möglichkeit glaubten, eine neue und bessere Welt zu schaffen und sie hielten ihre politische Grafik für einen wichtigen Teil davon. Nach der Niederschlagung der Unruhen brachen Bernard, Paris-Clavel und Miehe ihr Studium ab, sie waren stigmatisiert und man beschimpfte sie als "crapules staliniennes" als "stalinistisches Gesindel". Diese Beschimpfung floss letztlich in den Gruppennamen ein – eine Art Verklumpung der Worte Graphik und Gesindel zu Grapus, also auf deutsch vielleicht so etwas wie "Grafisches Gesindel" oder "Graphikgesindel".

1969/70 lehrten alle Drei dann an dem von Malraux gegründetem Institut de l’Environnement, das sich den Ideen des Bauhauses verbunden sah und an die der Ulmer Schule anschliessen wollte. Bernard und Paris-Clavel gingen dann noch einige Zeit nach Warschau um bei Henryk Tomaszewsky, dem Altmeister der sogenannten Polnischen Plakatschule zu studieren.

Letztlich aber ist der Mai 1968 als ideele Geburtsstunde von Grapus zu sehen. Mit dieser Erfahrung – nämlich der, das politische Grafik etwas bewirken kann, wurde Grapus 1970 gegründet.

Ohnehin waren Ende der 1960er Jahre verschiedene Spezialisierungen zu beobachten. In Frankreich trennten sich die Arbeitsbereiche der Grafikdesigner in zwei Gruppen: Die einen – wie Grapus – arbeiteten nur für Auftraggeber aus Kultur und Politik, die anderen wandten sich der kommerziellen Werbung zu, personelle Berührungspunkte beider Bereiche bildeten eher die Ausnahme.

Vor wenigen Wochen erschien ein Buch von Elisabeth E. Guffey: Posters. A global History. Sie beschreibt dieses Phänomen übergreifend: "Viele Designer entschieden sich in den 1970er Jahren wieder für das Plakat und entdeckten dessen visuellen Wert neu. Sie stellten sich mit ihren Arbeiten bewusst gegen den Mainstream und schufen eine neue, auf den Prinzipien des modernen Graphik-Designs beruhende Formensprache." Ausdrücklich verweist sie in diesem Zusammenhang auf Grapus in Frankreich, auf Wolfgang Weingart in der Schweiz, auf Rambow & Lienemeyer in Deutschland und auf Tadanori Yokoo in Japan. Auch wenn die Genannten alle in "verschiedenen Kisten" spielen um es salopp auszudrücken, so ist ihnen doch eines gemeinsam, die Nutzung des Plakats für die Visualisierung komplexer Strukturen in Gesellschaft und Kultur.

Aber zurück zu Grapus: Die Gruppe wuchs schnell und strukturierte sich ganz nach dem vermeintlichen Vorbild kommunistischer Ideale, alles wurde gemeinsam besprochen, jede Formulierung, jeder Strich ... was zu einer unendlichen Diskussion ausarten konnte, die den Arbeitsaufwand für einen Auftrag verzehnfachen konnte – das finanzielle Desaster in einer auf Effizienz ausgerichteten Gesellschaft war absehbar. Trotzdem blieben die Unabhängigkeit der Gruppe insgesamt und die Freiheit des Einzelnen innerhalb der Gruppe ein fundamentaler Wert.

Gegen Ende der 1970er Jahre änderten sich die gesellschaftlichen Umstände dramatisch. Auf die neuen Probleme, z.B. auf die der hohen Arbeitslosigkeit, wusste zunächst niemand adäquat zu reagieren, Parteien und Gewerkschaften mussten ihre Positionen erst finden und fielen zunächst als Auftraggeber für Grapus aus. Und langsam wurde klar: "Der Einfluss der Grafik auf das soziale, wirtschaftliche und politische Leben ist gleich Null Komma Null, Null, Null, Null." wie es Jean-Paul Bachollet, der seit 1974 Mitglied war, Mitte der 1980er Jahre einmal formulierte. Er beschreibt diese Situation als ein französisches Phänomen und sah andere Bedingungen in z.B. Deutschland oder den Niederlanden. Es schien jetzt beinahe so, als hätte Grapus den "Glauben" an den Sinn ihrer Arbeit verloren, als wäre ihnen hier die wunderbar motivierende Naivität im Umgang mit den Machtstrukturen irgendwie verlorengegangen.

1976 stiess Alex Jordan zur Gruppe, 1979 verliess François Miehe das Kollektiv um eine Lehrtätigkeit an der École des Arts et Dékoratifs aufzunehmen. Die unbefriedigende Gesamtsituation führte zu sehr verschiedenen Reaktionen bei den Mitgliedern, die eine Hälfte war für radikaleres Vorgehen, die andere für eine moderate Neuorientierung. Alex Jordan versuchte mit einigen Freunden zu vermitteln, letztlich allerdings ohne Erfolg, denn 1991 trennte sich die Gruppe offiziell und endgültig. Die ehemaligen Mitglieder gingen ohnehin schon längst in verschiedene Richtungen.

Niemand aber hätte ahnen können, dass das Ende von Grapus nicht nur eine Implosion war, es geriet über die Jahre erkennbar zu einer regelrechten Explosion, die ganz wesentliche Impulse nicht nur im französischen Grafikdesign setzte, sondern deren Auswirkungen bis heute spürbar sind.

- Gérard Paris-Clavel gründete zusammen mit Vincent Perrottet 1989/1990 Les Graphistes Associés (LGA). Hier entstanden bis 1992 Plakate mit vor allem politischem Bezug. Des Weiteren gründete er mit Anderen den Verein Ne Pas Plier.

- Pierre Bernard gründete 1990 mit Fokke Draier und Dirk Behage das Atélier de Création Graphique (ACG).

- Alex Jordan gründete zusammen mit Anette Lenz und Ronit Meirovitz 1990 das Nous Travaillons Ensemble (NTE).

Einige der Mitstreiter aus diesen Kollektiven geben noch heute in wichtigen Bereichen eine Qualität vor, die schon lange nicht mehr nur Aufmerksamkeit erzeugt sondern auch offizielle Anerkennung findet. Jüngstes Beispiel: Vor wenigen Tagen wurde Anette Lenz als Chevalier des Arts et des Lettres von der französischen Regierung ausgezeichnet.

Dank an Alex Jordan für Hinweise und Ergänzungen

Einige Wort zu den Plakaten von Grapus
Was aber macht die Plakate von Grapus so besonders, was sie so vorbildhaft für ganze Generationen von Gestaltern? Was macht darüber hinaus Ihre Wirkung aus, zum Zeitpunkt Ihrer Entstehung und jetzt?

Was im Geschäftsleben als Nachteil auszumachen war, dieses ausführliche kollektive Drehen und Wenden eines Auftrags, zeigt sich im Ergebnis nun als Vorteil. Die gewonnene inhaltliche Klarheit ist wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Vermittlung des Themas, denn man muss Begreifen und Verstehen, bevor man Gestalten kann.

Hierin sehe ich einen ganz wesentlichen Punkt, die ernsthafte Beschäftigung mit einem Thema, sei es ein Theaterstück, eine Ausstellung, ein Auftrag für ein Corporate Design oder ein politisches Anliegen, alles muss zunächst durch den Kopf, bevor es auf‘s Papier kommt. Heute hat man manchmal den Eindruck, es ist umgekehrt!

Aus der inhaltlichen Klarheit entwickelt sich eine Gestaltung, die dann ausschliesslich das Ziel verfolgt, ein überzeugendes Bild zu kreieren. Dabei gibt es keine Konventionen an die man sich hält, man macht das, was man für nötig hält, egal, was gerade modisch erscheint, oder als passend gilt. Grapus führt bis dahin in dieser Konsequenz nicht oder selten gesehene Gestaltungsvarianten ein. Unscharfe Bilder, übermalte Fotos, entstellte Gesichter, Handschriften als Headliner, Collagen, Graffiti, Kleckse, Flecken, alles wurde benutzt um Reaktionen beim Zuschauer hervorzurufen. Dabei ist oftmals der erste Eindruck von praller Farbigkeit getragen, aber dieser Ästhetik leichtfertig zu folgen und zu erwarten, das auch der Inhalt dem entspricht, führt dann unweigerlich in die Irre, denn Inhalt und Form müssen nichts miteinander zu tun haben – es funktioniert manchmal wie ein Lockstoff – man fällt darauf herein.

Lassen Sie mich einige wenige Beispiele herausgreifen:

Für eine Grapus-Ausstellung im Museum De Beyerd im niederländischen Breda (seit 2011 Museum oft the Image) ist es ausgerechnet ein deutscher Schäferhund, vermutlich von bester Rasse und makellosem Stammbaum, der das Bild bestimmt. Aber, ein anderer, ein "bunter Hund" durchbricht mit all seiner Kraft und Andersartigkeit gerade diesen Stammbaum, kreuzt Farbe und damit auch ein anderes Leben ein – was für ein treffendes Selbstportrait, was für ein Toleranzedikt!

Die immer angestrebte Unabhängigkeit zeigt sich auch in der Gestaltung eines anderen Blatts, es gibt kein Schema, keine Tabus oder Hemmungen. Eine durch Mundfäule zerstörte Mundhöhle – man mag gar nicht hinschauen – wirbt für Gorkis "Nachtasyl", dessen Handlung ja in einem Elendsquartier spielt. Grapus führen uns die dramatischen Folgen des Elends an einer in unserer Gesellschaft wichtigen Stelle am Menschen vor, am Mund und an den Zähnen. Denn die Lippen müssen ja glänzen und die Zähne so weiss strahlen wie poliertes Porzellan – also was für ein Schock, was für ein Gegensatz! Aber, es ist mehr als ein Theaterplakat, was uns die Zustände in Russland am Anfang des 20. Jahrhunderts beschreibt, es beschreibt ganz allgemein den Gegensatz zwischen arm und reich.

Nichts ist erledigt!
Dieses Fazit zog Klaus Staeck vor einigen Jahren über seine Arbeit. Er beklagt darin, dass die meisten Themen die er seit Jahrzehnten in seinen Arbeiten anprangert, nach wir vor aktuell und damit nicht erledigt sind.

Greifen wir also nochmals die Frage nach der Wirksamkeit auf. Schauen wir uns die Welt an, was ist passiert in den letzten Jahren? Seit dem Untergang des Sozialismus breitet sich der Kapitalismus wieder hemmungsloser aus. Auf der einen Seite bietet er Freiheit und Wohlstand (wenn auch für immer weniger Menschen), auf der anderen Seite schränkt er die Grundrechte durch die Duldung massenhafter Armut wieder ein, denn Teilhabe kostet Geld. Unter dem Deckmantel religiösen Tuns haben sich Mordbrennerbanden zu einer schlimmen Gefahr für Mensch und Kultur aufgeschwungen. Der Nord-Süd-Konflikt lebt in noch nie gesehener Schärfe wieder auf. Wir sehen es auf der Einladungskarte, die Grafik zu Rich and Poor, die Grapus 1989 zum 200. Jahrestag der französischen Revolution entworfen haben: Selbst der Abfall, der letzte Rest den die Reichen von sich geben wird den Armen noch entzogen!

Ist es also wirklich so, dass die Arbeiten von Grapus und Anderen 0,0 Wirkung hatten und haben? Ich glaube das nicht. Natürlich läuft es nicht so, man sieht etwas und zack ist man anderer Meinung. Es ist letztlich wie bei der Literatur, dem Kabarett oder dem Film: Wir, die Zuschauer bekommen einen inhaltlich komplexen Sachverhalt dann thematisch zugspitzt und visuell konzentriert geboten, alles was verschleiert und verdeckt wurde weggerissen, der verbleibende Kern ist nochmals zugespitzt und darauf reagieren wir – und diese Reaktionen hat Grapus ganz meisterlich organisiert.

Die Frage kann man aber auch umgekehrt stellen, wäre die Welt ohne diese Arbeiten schlechter dran? Davon bin ich fest überzeugt – denn solchen Argumenten wie Grapus sie liefern und auch wie sie sie liefern – das kann man nicht einfach ignorieren oder glauben, es tue nichts mit einem.

Lassen Sie sich also von den Arbeiten inspirieren und verführen, nehmen Sie die Ernsthaftigkeit ebenso zur Kenntnis wie den Humor – denn ein Slogan von Grapus war:
"Spass kostet auch nicht mehr."





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