Das MAK widmet ab 25. September Stefan Sagmeister, dessen Arbeiten bei allen großen Gruppenausstellungen und in internationalen Publikationen zum Thema Grafikdesign und Packaging zu finden sind, eine erste umfassende monografische Ausstellung.
Während der letzten zwanzig Jahre ist Grafikdesign auf Grund seiner steigenden Bedeutung einem Wandel unterzogen. Wurde davor von „hoher und niederer Kunst" gesprochen suchen heute Werbegrafiker nach dem Kunstwerk im zweckgebundenen Design und untermauern ihre Legitimation indem sie provokante Buchtitel wie Beuys Zitat „Werbung ist Kunst" in Anspruch nehmen oder Andy Warhols Wurzeln als Werber betonen. Unterstützt werden sie dabei von Künstlern, die sich ihrerseits mit Alltagsphänomenen beschäftigen. Auf Design spezialisierte Zeitschriften, eigene Konferenzen und Ausstellungen über Grafikdesign führen zu einer Neuorientierung bei der Bewertung dieses Gestaltungsmittels und der hinter ihm stehenden Akteure, die durch Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen wie Filmemachern, Künstlern, Musikern, Schriftstellern oder Architekten zusätzlich Inspiration suchen.
Dieser jüngeren Generation von Grafikdesignern gehört Stefan Sagmeister an, der sich jedoch mit seiner Einstellung „Menschen einzureden Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchen, mit Geld, dass sie nicht haben, um Menschen zu beeindrucken, denen eigentlich alles egal ist, mag heute wohl das schäbigste Betätigungsfeld sein" von der Mehrzahl der Grafikdesigner unterscheidet. Er begibt sich innerhalb seines Berufsfeldes in eine Grenzposition, die ihn Auftraggeber wie beauftragtes Werk kritisch hinterfragen lässt und auf die Herausforderung reagiert, dass Grafikdesign innerhalb weniger Sekunden den Betrachter zu überzeugen hat.
Mehr „Erfinder denn Designer" untersucht Sagmeister Aufgaben, Materialien und Funktionen und schafft für jedes seiner „handgearbeiteten" Objekte eine individuelle Lösung. Seine durchdachten Gestaltungen lösen im Betrachter Neugier aus, dieser will das Objekt und seine dahinter stehenden Ideen analysieren und sich auf das Spiel mit dem Produkt einlassen. Sagmeister sucht zwangsläufig innerhalb seiner Aufträge im Grafikdesign Lösungen - Bücher und CDs - die diese intensive Auseinandersetzung des Nutzers zulassen.
Am 6. August 1962 in Bregenz geboren besucht Sagmeister die HTL, erlangt dort grundlegende Kenntnisse in Technik und Physik (Optik), die seine Entwürfe prägen. Er beschließt Grafik zu studieren, nachdem er erste diesbezügliche Erfahrungen während seiner Arbeit für die Zeitschrift Alphorn in Dornbirn gesammelt hat. Ab 1982 an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien schöpft Sagmeister nach eigenen Aussagen mehr aus dem Austausch mit seinen Kollegen als aus der Ausbildung bei Prof. Paul Kurt Schwarz und entwirft als „Gruppe Gut" Plakate für Hans Gratzers Schauspielhaus - in Wien damals Synonym für junges, unkonventionelles Theater. Diese ersten Plakate Sagmeisters erregen in den frühen achtziger Jahren durch ihr einfaches Design Aufmerksamkeit, ein die gesamte Fläche beherrschendes Bildmotiv und über die ganze Breite reichende Schriftzüge erzielen Wirkung. (Abb. 1) Die Schauspielhaus-Plakate sind es auch, die Sagmeister 1986 ein Fulbright Stipendium am Pratt Institute in Brooklyn (New York) verschaffen, gleich nachdem er an der Angewandten seinen Abschluss mit einem, für seine gesamte Laufbahn prägenden Projekt macht - 20 interaktive Postkarten zeigen seine Begabung für Erfindungen. So kann eine Postkarte zu einer Sonnenuhr gefaltet werden, die sich auf die örtliche Zeitzone einstellen lässt. (Abb. 2)
Während dieser New Yorker Phase produziert Sagmeister zahlreiche Visitkarten (für Freunde und Verwandte), die ihn mit den Anforderungen des kleinen Formates vertraut machen und bei denen er mit Tricks wie durchscheinenden Materialien (Armin Schneider), komplizierten Falttechniken (Ein-Dollar-Note) oder kinematografischen Effekten (Little Gold) experimentiert. Für das Modegeschäft „Blue" seines Bruders entwirft er die gesamt Corporate Identity und spielt hier mit dem optischen Phänomen „Orange + Schwarz = Blau".
Nach einem kurzen Zwischenstop in Wien folgt Sagmeister 1991 dem Ruf des renommierten Grafikdesigners Leo Burnett als Typograf nach Hong Kong. Bald zum Leiter avanciert besteht der Großteil seiner Arbeit in der Organisation dieser großen Dependance und in kommerziellen Aufträgen wie Broschüren für Hotels oder Fluglinien, Arbeiten, die er selbst als seine schlechtesten bezeichnet. Er ist von der konservativen Auffassung von Grafikdesign im Hong Kong der frühen neunziger Jahre frustriert und entwirft für den AAAA-Werbedachverband ein Poster in Rebellion gegen die vorherrschenden Klischees. Ein Großteil der Wirkung des Plakates beruht auf der für Japan provokanten Entscheidung Sagmeisters, die Szene im Stil der traditionellen Schildermalerei zu illustrieren. (Abb. 3) Mit seinem Entwurf eines Kongressnotizbuches, in dem jeder Teilnehmer eine individuelle Anfertigung einer Glaskopie seines Auges wiederfindet, sprengt Sagmeister alle Konventionen. (Abb. 4) Beide Projekte zeigen einen für ihn spezifischen Ansatz gewagte, oft sogar geschmacklose Sujets durch scharfen visuellen Witz akzeptabel zu machen.
Die von intensiver, aber gestalterisch wenig befriedigender Arbeit geprägte Zeit endet für Sagmeister 1993, als er die Möglichkeit wahrnimmt, im New Yorker Studio des scharfzüngigen „Bad Boy" der amerikanischen Grafik Tibor Kalman zu arbeiten. Kalman belebt die New Yorker Tradition des ideenbasierenden Grafikdesigns - Grafikdesign kann sich niemals über den Inhalt erheben - mit Arbeiten, die witzig, stilvoll und kenntnisreich sind und die die jungen Grafiker, die bei ihm arbeiten, inspirieren. Die Hoffnung Sagmeisters, dort sein Talent voll entwickeln und ausleben zu können, dauert nur sechs Monate, denn das Studio wird geschlossen.
Noch im gleichen Jahr gründet er Sagmeister Inc. und eröffnet sein eigenes Studio in Manhattan, wobei ihm die in Hong Kong auf organisatorischem Gebiet und bei Kalman in formaler Hinsicht gemachten Erfahrungen diesen mutigen Schritt erleichtern. Nun gezwungen sich selbst zu präsentieren streicht Sagmeister in hohem Maße seine persönliche Erscheinung hervor, und verschafft sich ein Image, wie dies vor ihm vergleichsweise nur Tibor Kalman gelungen ist. Seine Eröffnungsanzeige zeigt zwei Fotos Sagmeisters, nur mit weißen Socken bekleidet und einem längeren und einem kürzeren abziehbaren Klebestreifen über seinem Penis, wobei der Betrachter entscheiden sollte, welches der beiden Fotos digital manipuliert ist. (Abb. 4)
Das für seine Rede bei der AIGA-Konferenz in Detroit 1999 gestaltete Plakat erregt internationales Aufsehen als eine im Kontext mit Grafik radikale Novität. Es kann als martialische Antwort auf virtuelle, digitale Lösungen gewertet werden, dass Sagmeister seinen Körper zur Werbefläche macht und den Text in seine Haut ritzen läßt. Sagmeister lehnt Computergrafik als imaginäres Zufallsprodukt ab und sein AIGA-Plakat betont diese Haltung gegenüber computeranimierter Perfektion. (Abb. 5)
Sagmeisters Fähigkeit, jeder der von ihm gestalteten Arbeiten eine Zuordnung zu seiner Person zu garantieren, ohne dabei in uniforme Wiederholung zu verfallen, verschafft ihm einen eigene Position und überzeugt Stars wie die Rolling Stones, Lou Reed oder Pat Metheny, deren musikalische Inhalte Sagmeister visualisiert. Mit Hilfe traditioneller Gestaltungstechniken wie Typografie und Weiterverarbeitung entstehen Grafikdesigns, die effektvoll Aufmerksamkeit wecken und Sagmeisters Hang zum Experimentieren, seine Faszination für Physik und deren Effekte erkennen lassen.
Seine CD-Labels bilden den Höhepunkt durchdachter Gesamtkomposition, die das Taktile mit dem Konzeptuellen verschmelzt - Resultate seiner minutiösen Arbeitsprozesse. Dabei sprengt er die kleine Formatvorgabe durch Ineinanderschieben von Gestaltungsebenen, Durchlöcherungen, Überschneidungen, Verzierungen, er bringt Flächen durch Verwendung transparenter Schichten, Farbfolien und Erzeugung von Spiegelungen zu dreidimensionaler Wirkung. Dabei sind die von technischen Innovationen geprägten Arbeiten besonders effektvoll, so der Coverentwurf für HP Zinker. Die rote Plastikbox funktioniert gleichzeitig als Farbfilter und als X-Ray. Sagmeisters Interpretation von Interaktivität zeigt die simple mechanische Verschiebung der komplementärfarbigen Hülle, die das Gesicht des alten Mannes zwischen Gelassenheit und Wahnsinn changieren lässt. (Abb. 7)
Den gleichen Trick setzt er bei seiner 2001 erschienenen Monografie „Made you look" nochmals ein. Den „Prinz der Dunkelheit" Lou Reed taucht Sagmeister in sonniges Gelb, nur der Kunststoffdeckel der CD hüllt ihn in tiefes Kobaltblau. Die Verwendung der eigenen Handschrift für das Lou Reed-Booklet erinnert an manches Plattencover der 70er Jahre, ist aber auch mit der hingekritzelten Formlosigkeit der „Grunge"- Typografie der 90er Jahre verwandt. Diese Arbeit steht beispielgebend für Sagmeisters Lust an der Verschmelzung von etablierten Methoden mit neuer Ästhetik und einmal mehr seine Ablehnung der gelackten Perfektion professioneller Computergrafik (Abb. 8).
Er bedient sich auch motivisch alter Vorbilder, um sie in seine Gestaltungen zu integrieren. So holt er sich für den Rolling Stones Löwen das Modell aus dem British Museum und umgibt ihn mit barockem Ornament (Abb. 9) oder er verwendet für Pat Methenys CD alte Schriftzeichen, die nur mit Hilfe komplizierter Dekodierung zu entschlüsseln sind.
Durch den Einsatz traditioneller Gestaltungsmittel stellt sich der mit zahlreichen Grammies für Grafikdesign ausgezeichnete Sagmeister bewusst in Opposition zu artifizieller und steriler Computergrafik. Seine Arbeiten, Plakate, Bücher, CDs, Objekte und Verpackungen, bestechen durch ihre haptische Erscheinung und durch das Zusammenspiel von Licht, Farbe und Schatten erzielte optische Effekte.
Die Präsentation im MAK-Kunstblättersaal zeigt eine Auswahl dieser innovativen Arbeiten unterschiedlicher Werkkomplexe, von den ersten Plakaten für das Schauspielhaus bis zu seinen Neuinterpretationen von Labeldesign, die das Massenprodukt CD zum unverkennbaren Einzelkunstwerk machen.
Anlässlich der MAK-Ausstellung wird eine von Stefan Sagmeister gestaltete Textpublikation mit einem Vorwort von Peter Noever und einer theoretischen Auseinandersetzung zu den Arbeiten von Rick Poynor erscheinen.
Mag. Kathrin Pokorny-Nagel
Leiterin Bibliothek und Kunstblättersammlung MAK
Stubenring 5
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E-Mail: pokorny-nagel@MAK.at